Jørgen Norheim: Der Adjutant

  Schuld und Verantwortung

Bücher über seelisch verwundete Aussteiger, die sich in die Einsamkeit skandinavischer Inseln oder Wäldern zurückziehen, üben schon lange eine große Faszination auf mich aus, Pferde stehlen von Per Petterson und Die italienischen Schuhe von Henning Mankell gehören dazu. Aus diesem Grund, und weil ich wissen wollte, warum ein norwegischer Autor so tief in die deutsche Geschichte eintaucht, stand Der Adjutant von Jørgen Norheim schon lange auf meiner Wunschliste, als ich ihn zufällig im Offenen Bücherschrank in Mainz-Bretzenheim entdeckte, ein vermutlich ungelesenes Exemplar, ausgeschieden aus der Katholischen öffentlichen Bücherei am Dom in Mainz. Schade, dass der Roman, der in Norwegen 2008, auf Deutsch in der Übersetzung von Frank Zuber 2010 erschien, hierzulande wenig Aufmerksamkeit fand und nur noch antiquarisch zu erwerben ist, während er in Norwegen 2008 für den bedeutenden Bragepreis nominiert war.

„Manche Dinge sehe ich klarer, seit ich hier oben wohne.“ (S. 21)
Der namenlose Ich-Erzähler, der sich 1941 an den Sognefjord auf den alten westnorwegischen Berghof Hylla zurückgezogen hat, den man nur über einen zehn Kilometer langen Saumpfad mit 800 Meter Höhenunterschied erreicht, wurde 1871 in Königsberg als Sohn einer gutbürgerlichen Pfarrersfamilie geboren. Sein Interesse für Philologie stellte er zugunsten der elterlichen Erwartungen zurück und wurde kaiserlich-preußischer Offizier, nachdem er schon als junger Mann Kaiser Wilhelm II auf dessen Norwegenfahrten mit dem Vergnügungs- und Expeditionsschiff Hohenzollern begleitet und die Reisen dokumentiert hatte. In verantwortlicher Stellung bei der Vorbereitung und während des Ersten Weltkriegs, folgte er aus Loyalität Wilhelm II nach der Abdankung 1918 bis zu dessen Tod 1941 ins niederländische Exil.

© Hintergrund: M. Busch, Collage: B. Busch

„Man sieht erst hinterher, was man getan hat.“ (S. 125)
So abgeschieden er lebt, insbesondere im Winter, seine Gespenster verfolgen ihn doch. Wenn er auf seinem batteriebetriebenen Plattenspieler Schostakowitschs 13. Sinfonie „Babi Jar“ hört, fragt er sich, ob „seine“ Leute an den Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs beteiligt waren. Albträume plagen ihn nach dem Besuch seines Bruders Karl 1961, der vor dem Kriegsdienst in die USA flüchtete und als Fabrikant reich wurde. Karls Schuldzuweisungen, auch für das Schicksal der Familie, erschüttern ihn:

Ohne deinen Krieg hätte es auch keinen Zweiten Weltkrieg gegeben. (S. 183)

Mach dich nicht kleiner, als du bist, du musst Verantwortung übernehmen. (S. 184)

Auch sein junger Vermieter, Obstgärtner, Sozialist und Kriegsdienstverweigerer, der ihn ab etwa 1957 regelmäßig besucht, „gräbt und gräbt“ (S. 157) und selbst dessen Tochter, die kleine Helga, stellt Fragen. Immer häufiger blättert der ehemalige Adjutant in alten Tagebüchern, versinkt in Erinnerungen, leidet unter Albträumen, wägt seine Schuld ab und sucht Erklärungen:

Ich verteidige nicht alles, was ich getan habe, aber ich möchte so gerne, dass er mich versteht! Dass er begreift, warum wir damals so dachten und handelten und wie wenig Spielraum wir hatten […] (S. 154)

„Ist es die Strafe des Herrn, dass ich Jahr für Jahr weiterleben […] muss […]?“ (S. 286)
Der Adjutant
ist ein stiller, ruhig erzählter Roman über persönliche Schuld und Verantwortung, der man nicht entkommt, aber auch über Freundschaft und Zuneigung, die dem Ich-Erzähler im hohen Alter zuteil wird – allerdings mit einem Zufall zuviel für mich. Die Beschreibungen des einsamen Lebens in den mächtigen Fjorden, verwoben mit den Kriegserinnerungen eines einflussreichen Offiziers, machen den Roman des norwegischen Historikers Jørgen Norheim so interessant und absolut lesenswert.

Jørgen Norheim: Der Adjutant. Aus dem Norwegischen von Frank Zuber. Osburg 2010
www.osburg-verlag.de

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